Wie man Obstbäume richtig schneidet

Zur Selbstversorgung oder als Schattenspender sind Obstbäume recht beliebt. Auch an den Straßenrändern und in der Feldgemarkung stehen ungefähr 80 Obstbäume unterschiedlichster Sorten, die mittlerweile von der Gemeindeverwaltung kartiert wurden. Viele dieser Bäume blieben in den letzten Jahren sich selbst überlassen und sind schlecht gepflegt. Dass es auch Bäume gibt, die in gutem Zustand sind, ist vor allem Heinrich Kirschner als gemeindlichem Vogelschutzbeauftragten zu verdanken, der sich ehrenamtlich sehr verdient macht um Pflegearbeiten in der Gemarkung. Allgemein ist das Interesse an den gemeindlichen Obstbäumen und der jährlichen Versteigerung im Spätsommer aber relativ  gering, daher verdorrt das Obst oft an den Bäumen oder fällt herunter. Dies war in den Vergangenheit ganz anders, wie der heimatgeschichtliche Artikel beweist, den Heinz Rüdiger im Jahr 2007  verfasst hat (siehe unten). Demnach gab es im vorletzten Jahrhundert sogar eine gemeindliche Obstbaumschule. Für den Naturschutz und die Artenvielfalt sind die teils Jahrzehnte alten Obstbäume aber auch heute noch von großer Bedeutung. Hinzu kommt, dass als Ausgleichsmaßnahmen in der jüngeren Vergangenheit auch mehrere Obstwiesen angelegt wurden, so etwa oberhalb des Hainsgraben, an der Berliner Straße in Empfershausen oder im letzten Herbst am Mülmisch-Radweg. Zur richtigen Pflege von Jungbäumen fand am Samstag 26. Januar 2019 ein Kurs in Körle statt, der von der Gemeinde zusammen mit der NABU-Gruppe organisiert worden war. 14 Teilnehmer wurden durch Patricia Saif von der Obstmanufaktur der Kommune Niderkaufungen geschult. Nach einem theoretischen Teil im Sitzungssaal des Rathauses stand nach dem Mittagessen die praktische Übung auf der Obstwiese oberhalb der Berliner Straße auf dem Programm. Hier konnte die Teilnehmer ihr frisch erworbenes Wissen in kleinen Gruppen an den ca. 20 Bäumen probieren. Mit diesem Kursangebot geht für die Gemeinde Körle die Hoffnung einher, das Interesse an den heimischen Obstsorten wieder zu wecken. Dies beginnt damit, dem jüngst angelegten Obstwiesen einen Erzierhungsschnitt zu verpassen und sich später auch um den Erhalt der alten Bäume zu kümmern. Schließlich wäre es auch wünschenswert, das Obst sinnvoll zu verwerten. Die Gemeinde Körle wird dazu mit der Nabu Ortsgruppe, der Schule und dem Kindergarten einen Plan entwickeln, denn das heimische Obst ist ungespritzt und hat einen denkbar kurzen Transportweg zum Verbraucher (=Klimaschutz). Also viele gute Gründe, sich um unsere Obstbäume besser zu kümmern.

Bildunterschrift: Patricia Saif von der Obstmanukaktur im praktischen Teil auf der Obstwiese in Empfershausen

Ein Bericht zum Obstanbau in Körle
(verfasst von Heinz Rüdiger im Jahr 2007)

In den vergangenen 200 Jahren wurde in Körle auf den Obstanbau großer Wert gelegt. Im Jahre 1852 schrieb Inspektor Wiegand für die Steuerbehörde einen Bericht, in dem es u. a. heißt „ Auf die Obstbaumzucht wird besonderer Fleiß verwendet. Mehrere Gemeindewege und auch wüste Plätze sind mit Obstbäumen bepflanzt, wovon die Gemeindekasse einen nicht unbedeutenden Ertrag genießt. Die vorhandene Gemeindebaumschule steht unter der Aufsicht und Pflege des Ortsdieners. Die darin gezogenen Obstbäumchen werden auf die Gemeindeplätze verpflanzt“.

In der Regel war es nicht der Ortsdiener, der die Obstbäume der Gemeinde in der Baumschule heranzog, und diese dann an Straßen und Wegen anpflanzte. Es war ein so genannter Baumgärtner oder Baumpflanzer. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Pflege der älteren Obstbäume. Einer der ersten Baumgärtner war Engelhardt Peter, der im Dorf bekannt wurde, weil er nach seinem Tode im Jahre 1831 der Gemeinde einen großen Teil seines Vermögens als Erbe hinterließ. Ein Baumgärtner hatte keine Vollzeitstelle. Er übte die Tätigkeit nebenberuflich aus, denn was die Gemeindeverwaltung für seine Arbeit zahlte, reichte zur Ernährung einer Familie nicht aus. Engelhardt Peter erhielt im Jahre 1829 einen Jahreslohn in Höhe von  drei Talern, vier Albus.  Sein Nachfolger bekam im Jahre 1839 nur einen geringfügig höheren Betrat; es waren drei Taler, 22 Silbergroschen, acht Heller.

(Anmerkung: In der Körler Gemeinderechnung wird ab dem Jahre 1836 an Stelle des Albus mit Silbergroschen gerechnet. Am 1. Januar 1875 wurde im ganzen Deutschen Reich die Mark als einheitliche Währung eingeführt.)

Um das Jahr 1850 befand sich die Gemeindebaumschule im Bereich der „Alten Mühle“.  Das ist das Gelände entlang der Eisenbahngleise , dem Güterbahnhof gegenüber. Im Jahre 1870 wurde diese Baumschule verpachtet.  Erst im Jahre 1878 gab der Gemeinderat dem damaligen Baumgärtner Heinrich Wenzel den Auftrag, auf der Gänsemannskaute eine neue Gemeindebaumschule anzulegen.

Mit dem jeweiligen Baumgärtner schloß der Gemeinderat einen Beschäftigungsvertrag ab.

Als Beispiel habe ich den folgenden Vertrag ausgewählt (Sprachlich nicht geändert!):

Vertrag
Körle, 12. Februar 1885

Zwischen der Gemeindbehörde erstererseits und dem Baumgärtner Heinrich Wenzel andererseits über das Pflegen und Reinigen der Obstbäume der hiesigen Gemeinde. Unter folgenden Bedingungen:

§ 1 verspricht H. Wenzel sämtliche Obstbäume, welche sich auf der Gemeindehute, an Wegen und Straßen ( befinden) und der Gemeinde zustehen, in Reinigung und Anbinden zu halten, die jungen Stämme, so lange es erforderlich ist, mit Pfählen zu versehen, welche die Gemeinde stellt, sowie die neue Baumschule so viel erforderlich ist zu reinigen, die jungen Stämmchen zu pflegen, so viel wie nötig ist, mit Pfählen und Anbinden zu versehen. Dafür verspricht

§ 2 die Gemeindebehörde dem H. Wenzel eine jährliche Besoldung von achtzehn Mark aus der Gemeindekasse zu entrichten, Dieser Vertrag wird nach § 56 der Gemeindeordnung festgesetzt.

Vorgelesen und unterschrieben

Der Bürgermeister   Der Gemeinderat   Der Ausschuss   Der Baumgärtner.

Zu den Aufgaben des Baumgärtners gehörte auch das Pfropfen der jungen Bäumchen und das Schneiden  der älteren Bäume.  Und das für eine Mark und fünfzig Pfennig im Monat.

Was der Steuerprüfer „einen nicht unerheblichen Ertrag“ für die Gemeindekasse nannte, war die Einnahme aus dem Obstverkauf.  Diese Einnahmen schwankten stark, denn der Ernteertrag war ja von Jahr zu Jahr nicht gleich.  Im Durchschnitt nahm die Gemeindekasse jährlich zwischen 20 und 30 Talern ein. In guten Jahren wie zum Bespiel im Jahre 1849 waren es zum Beispiel 50 Taler. Die Gemeinde verkaufte auch das Holz der alten Stämme.

Während des ganzen 19. Jahrhunderts galt das Obst als sehr wertvoll, entsprechend waren die Strafen, wenn der Feldhüter, der Gendarm oder der Besitzer einen „Obstfrevler“ erwischten.

So hatte zum Beispiel der Sohn des Johannes O.  „ auf dem Steine Kirschen abgeschlagen“. Die Strafe lautete: ein Tag Arbeit. Die Tochter des Friedrich J. „hatte an der Straße mit Steinen Äpfel abgeworfen“. Der Vater mußte eine Mark Strafe zahlen. Die gleiche Strafe erhielt Conrad A.; sein Sohn Adam hatte „dem H. Geyer im Garten aufm Baum Äpfel entwendet“. Eine Mark war damals viel Geld. Die Gemeinde zahlte zu der Zeit  an ihre Arbeiter einen Stundenlohn von 25 Pfennigen.

Die Einwohner waren verpflichtet, ihre eigenen Obstbäume zu pflegen und in einem guten Zustand zu halten. Regelmäßig kontrollierten die Gendarmen aus Melsungen die Körler Gärten. Cornelius S. zahlte nach solch einer Inspektion 50 Pfennig, weil in seinem Garten ein trockener Obstbaum stand, Conrad R. hatte trockene Äste an einem Obstbaum gelassen. Auch er musste 50 Pfennig zahlen!

Im Jahre 1900 wurde die letzte Körler Baumschule aufgegeben und als Gartenland verpachtet. Die noch vorhandenen Bäumchen pflanzte der Ortsdiener an Straßen und auf Plätze, die der Gemeinde gehörten. Die langjährige Obstbaumzucht wurde aufgegeben, weil „in der Gemeinde kein befähigter Mann vorhanden war, der die Gemeindeobstpflanzungen versehen konnte.“ Das teilte damals der Bürgermeister dem Landrat mit, der angeregt hatte, die Gemeinde Körle möge dem „Obstbauverein zu Cassel“ beitreten. Ganz aufgeben wollte man aber offenbar den Obstbau doch nicht, denn schon im Jahre 1901 wurden am Hainsgraben und am Specksgraben wieder junge Apfelbäume gepflanzt.

An die traditionsreiche Körler Obstbaumzucht erinnert heute der Körler Edelapfel. Dieser wohlschmeckende Apfel wurde im Jahre 2004 von Pomologen zur „ Hessischen Lokalsorte des Jahres“ gewählt. In einer Broschüre weist der Pomologenverein darauf hin, dass der Körler Edelapfel inzwischen nicht nur im Raum Kassel sondern auch in Fulda und Wiesbaden angebaut wird.  Der Kasseler Hans Römhild äußert in einer geschichtlichen Abhandlung die Vermutung, der Edelapfel könne in einer Baumschule in Körle gezüchtet worden sein; zumal der einzige Baum, von dem alle unsere heutigen Edelapfelbäume abstammen,  im Bereich der Alten Mühle gestanden hat, also dort wo es einmal eine Baumschule gab. Man kann diesen Gedanken nicht ganz von der Hand weisen. Allerdings ist die Annahme näher liegend, der Körler Edelapfel sei eine Zufallsmutation, die aus dem Kern eines achtlos weggeworfenen Restes eines italienischen Apfels entstanden ist;. denn im Bereich der Alten Mühle befand sich auch das Lager, in dem die italienischen Arbeiter untergebracht waren, die beim Bau der Eisenbahnstrecke im Jahre 1848 eingesetzt wurden. Dennoch ist der „Körler Edelapfel“ kein „Italiener“, wie oft behauptet wird,  sondern eine eigenständige Apfelsorte.

Nachtrag: Die Gemarkungsbezeichnung „Alte Mühle“ geht höchstwahrscheinlich auf eine Sägemühle zurück, die in diesem Bereich gestanden hat. „Gänsemannskaute“ ist eine alte Gemarkungsbezeichnung. Es handelt sich um ein Gebiet an der Straße „Zum Rot“ in Höhe der heutigen Bergstraße. Woher dieser Name kommt ist unbekannt. Mit „Kaute“ bezeichnete man früher eine Grube oder ein Loch. So bedeutet zum Beispiel die Bezeichnung „Leimenkaute“: Lehmgrube.